6. Folge – Pandemien

In unserer sechsten Folge unserer Serie „Pflanzenglück – ein Klimapodcast rund um die vegane Lebensweise“ möchte ich über das Thema Pandemien und Zoonosen sprechen.

Herzlich willkommen zu unserer 6. Folge unseres Podcasts „Pflanzenglück“. Es ist schön, dass Du wieder reinhörst. Mein Name ist Holger und ich darf heute für unseren Verein vegan4future e.V. diese Folge sprechen. Du findest diese Podcastserie bei allen gängigen Podcastanbietern und natürlich auf unserer Internetseite: www.4future-podcast.de. Auch auf Facebook sind wir unter 4future-podcast zu finden. Wir freuen uns über jedes Like und Deine Kommentare.

So eine Podcastfolge kann immer nur eine Momentaufnahme sein. Oftmals überraschen uns die Ereignisse, so wie uns alle der Angriff Putins Armee in der Ukraine. Wir quälen uns 2 Jahre mit einer Pandemie herum und kaum meinen wir, diese überstanden zu haben, steht die nächste Krise bevor. Es gibt so ein Gefühl von Fassungslosigkeit, dass mich – dass uns alle übermannt.

Schon viele Tage herrscht nun Sterben und Zerstörung in der Ukraine und damit ist der Krieg wieder nach Europa gekommen. Wir können nur zusehen, kaum etwas tun, denn es ist ein medialer Krieg. Die Bilder, die uns erreichen, machen uns angst und lassen uns hilflos zurück und es gibt anscheinend keine Lösung, die sofort fassbar wäre. Ein Eingreifen der Nato würde einen 3. Weltkrieg provozieren – sagt man – ich bin mir da aber nicht so sicher. Aber alleine diesen Gedanken zu denken – ist für mich unfassbar.

Ich wurde im kalten Krieg sozialisiert und doch habe ich in den letzten 30 Jahren die Menschen in Russland als Freunde betrachtet, völlig Angstlos. Das waren keine Gesichtslosen mehr, so wie damals, als noch die Mauer stand und der Ostblock abgeschottet lebte. Es waren damals wie heute alles Menschen, die nach dem gleichen Glück streben. An Ihrer Spitze scheint jetzt eine durchgeknallte Staatsführung zu stehen, mit einem selbsternannten Zar Putin als Anfährer, welcher das großrussische Reich wieder auferstehen lassen will. Das alles begleitet durch eine 24 Stunden-Dauerberieselungspropaganda der Staatsmedien – liebe Querdenker: So sieht eine Diktatur aus. Putin sieht die westliche Welt – die westliche Lebensart als große persönliche Bedrohung und uns damit als Feind Russlands an.

Alleine dass ich hier von Feindschaft rede, wäre vor ein paar Wochen völlig undenkbar gewesen. Wobei ich hier natürlich aus einer sehr komfortablen Situation heraus spreche. Unser Leben ist bisher nicht bedroht – was aber bedroht ist, ist unsere Lebensweise – unsere Demokratie. Und genau jetzt zeigt sich, welch Geistes Kind manche Querdenker sind. Die vorher gegen eine Corona-Diktatur in Deutschland demonstrieren und heute Putins Krieg rechtfertigen und morgen die Klimakrise bestreiten. Jetzt zeigt sich, wie sinnlos viele Gespräche waren – denn eigentlich wird nicht gegen eine Maßnahme demonstriert, sondern gegen unseren Staat und damit gegen unsere Demokratie und unsere Sichtweise auf die Realität.

Unsere Lebensweise ist bedroht und ich sehe einen Kampf auf verschiedenen Ebenen – die aber umso intensiver sind, da sie uns gleichzeitig treffen. Der physische Krieg in der Ukraine macht uns Angst und wir spüren das fast körperlich. Der Energiekrieg mit seinen wirtschaftlichen Embargos wird die Wirtschaft in Europa und ganz klar in Deutschland nachhaltig schädigen. Und sorry, Corona ist nicht überstanden!

Die Tagesaktualität lässt manche Pläne vergeblich machen. Wir wollten mit dieser Folge speziell nur ein Interview mit Philipp Kohlhöfer führen und über die vielen Pandemien, die uns schon ereilt haben, sprechen. Gerade jetzt, als ich diese Worte für unseren Podcast spreche, droht uns das Ende aller Pandemiemaßnahmen am 20. März. Es wird noch über eine Hotspot-Regelung diskutiert und wir sehen, wie sehr die FDP den ausgerufenen Freedom-Day herbeisehnt und durchsetzen will. Zur gleichen Zeit steigen die Infektonszahlen immer weiter, an fast jedem Tag wird ein neuer Rekord einstellen. Es mag richtig sein, dass die Omikronvariante in der Masse nicht mehr so schlimm ist, aber trotzdem sterben 200-350 Menschen am Tag, und wenn es 50 sind … Was ist mit den vulnerablen Gruppen, den vielen Menschen, die zu Hause von ihren Verwandten gepflegt werden – was ist mit den Menschen, bei denen aus gesundheitlichen Gründen keine Impfung möglich ist? Es scheint mir, es gibt bisher dafür keine Lösung. Und warum sprechen wir nicht endlich über Long-Covid? Warum sprechen wir nicht darüber, dass diese chronische Erkrankung nachhaltig und für lange Zeit unser Gesundheitssystem schädigen wird. Ich habe tatsächlich Angst davor, dass die Entscheidung – alle Corona-Maßnahmen am 20. März auslaufen zu lassen, sehr bald uns wieder auf die Füße fällt und um so strengere Auflagen erneut unser Leben beeinflussen werden.

Ich habe jetzt 3 Ebenen genannt, Krieg, Energiekrise, Pandemie. Aber hinter allem schlummert eine 4. Ebene. Viele nehmen sie deswegen nicht wahr, da sie noch nicht offensichtlich wirkt. Aber die Klimakatastrophe, wird uns richtig nachhaltig beeinträchtigen.

Es herrscht Krieg in Europa, also warum jetzt über Pandemien sprechen? Weil wir im öffentlichen Diskurs zu wenig über den Ursprung gesprochen haben. Aber wenn wir diesen nicht bekämpfen – unseren nachhaltigen Hunger nach Land, das verdrängen der Tierwelt und die nachhaltige Schädigung der Natur – werden wir uns weiter mit Pandemien beschäftigen müssen. Viele Wissenschaftler mahnen und denken, dass die aktuelle Covid19-Pandemie nicht die letzte sein wird, die uns in unserer Generation bevorsteht. Um diesem Gedanken weiter auf den Grund zu gehen und über den Ursprung zu sprechen, habe ich am 26. Januar mit Philip Kohlhöfer dieses Interview geführt – also lange bevor dieser Krieg uns erschüttert hat.

Die Pandemie hat einen Grund und um das Wesen von Pandemien und Zoonosen zu beleuchten, darf ich heute Philipp Kohlhöfer bei uns begrüßen. Er hat ein beeindruckendes und gut verständliches Buch über Pandemien geschrieben und gibt einen Einblick in wissenschaftliche Abläufe und den daraus resultierenden Erkenntnisgewinnen. Jenseits der Tagesaktualität erklärt Herr Kohlhöfer in seinem aktuellen Buch, wie Pandemien entstehen und um die Welt gehen. Wissenschaftlich fundiert, spannend geschrieben wie ein Thriller und sehr unterhaltsam behandelt sein Buch „Pandemien“ die Geschichten hinter der großen Geschichte.

Philipp Kohlhöfer arbeitete u.a. für das Forschungsnetz Zoonotische Infektionskrankheiten. Er ist Autor und Kolumnist unter anderem für GEO. Bereits 2003 schrieb er eine Reportage über Coronaviren.


Holger: Hallo Herr Kohlhöfer, vielen Dank dass sie die Zeit gefunden haben, mit mir das Gespräch zu führen.

Philipp: Danke für die Einladung, freue mich!

Holger: Herr Kohlhöfer, sie haben ein 500 Seiten starkes Buch über Pandemien geschrieben. Was hat Sie dazu bewogen?

Philipp: Also zuerst einmal war das nicht als Buch geplant, sondern ergab sich dann im Frühjahr 2020, als das in Europa groß zu werden mit SARS Cov 2. Letztlich wollte. Es war so, dass ich mit meiner Tochter in Paris war im März 2020. Kurz bevor die Bilder aus Bergamo kamen mit den Särgen und ich war nicht sicher, ob ich da noch wegfahren soll. Und ich habe dann jemanden angerufen, der sich auskennt. Und das ist derjenige gewesen, den alle gefragt haben, zu der Zeit und immer noch, nämlich Christian Drosten. Das war ein ehemaliger Nachbar von mir. Und ich kenne ihn seit 20 Jahre, bzw. wir kennen uns seit 20 Jahren und hatten immer Kontakt. Das brach auch nie ab. Ich habe Christian angerufen und gefragt, ob wir wegfahren können. Und er sagte: „Fahrt mal jetzt, weniger wird es nicht mehr werden“. Dann sind wir eben nach Briest gefahren.
Als wir wiedergekommen sind, war der Plan, dass wir über Hessen fahren, weil ich da eigentlich her komme, Oma und Opa besuchen und dann nach Hamburg zurück. Und an dem Wochenende, an dem wir angekommen sind, sperrte eben das Land zu, oder der Kontinent. Und dann fiel auch die Schule aus und da saßen wir eben auf dem Dorf fest, was eigentlich gar nicht so schlecht ist, bei einer Pandemie auf dem Dorf zu sitzen, weil es fühlt sich an, als hat sich gar nichts verändert. Ich hatte einfach nichts zu tun in der Zeit und ich wollte dann letztlich am Anfang einfach mitreden können. Zum Beginn war es schon relativ schnell klar, dass die Debatte verkürzt ist und das da wahnsinnig viel Falschbehauptung auftreten. Also z.B. das Ding: Coronaviren gibt es schon immer und das alles ist ganz harmlos. Und ja, Coronaviren sind schon länger bekannt aber NEIN dieses Virus eben noch nicht. Und diesem ganzen Geschwurbel wollte ich dann, erstmal indem ich nur las und nur mitreden wollte, erst einmal was dagegensetzen. So in Social Media oder so. Und der konkrete Auslöser war dann, dass ich mit Christian immer telefoniert habe und er mir irgendwann erzählt hat, was er für Hassmails bekommen hat und was für schlechte Laune da in sein E-Mail-Fach gekübelt wird. Und ich dachte dann, vielleicht kann man da ja was daraus machen und die ganze Aggressivität aufgreifen, um da mal eine positive Geschichte zu erzählen, über Wissenschaft. Es geht jetzt nicht darum, dass ich irgendwen lobpreisen wollte, oder will, sondern ich dachte, Leute wissen doch eigentlich nicht, wie Wissenschaft funktioniert. Unsere Erwartung von Wissenschaft ist doch so, dass man ein Problem erkennt. Dann kommt ein Wissenschaftler dahin und sagt „Zack, so wird es gemacht“ und ganz oft Jeff Goldblum, wenn man Hollywoodfilme anguckt. Dann kommt Bruce Willis, fliegt auf einen Asteroiden, sprengt ihn in die Luft und das Problem ist gelöst. Das ist so die Erwartung an Wissenschaft und so findet es ja nicht Stat. Und ich dachte, ich muss das einmal ganz kurz erklären und das wurde dann, je öfter wir telefoniert haben, desto deutlicher wurde das, dass ich dachte: wenn ich schon was schreibe, dann schreibe ich nicht nur eine Social Media Replik, sondern ich schreibe mal was Längeres. Und das wurde dann automatisch immer länger, weil ich keine verkürzte Darstellung wollte, weil das einfach schwierig ist. Also man kann keine Viren erklären eigentlich ohne deren Ökosystem zu erklären und ich kann auch keine Pandemien erklären, ohne Mutation zu erklären, weil das eine völlig normale Sache ist. Wir mutieren halt dauernd. Mutation ist erst einmal nichts Schlimmes, das ist ganz normal. Meistens mutieren wir so, dass es dem Virus schadet. So, und wenn ich das erkläre, kann ich keine überspringe erklären, ohne dass ich spradding erkläre, was aber je nach Virus sich auch wieder unterscheidet. Und dann ist man halt schon bei dem größtmöglichen Fass, dass man öffnen kann.
Und dann war es auch immer klar, dass ich jetzt nicht … ich wollte kein Coronabuch schreiben, weil erstens wird dass sowieso immer von der Tagesaktualität überholt. Also wenn ich ein Buch schreibe, hat sich das überlebt. Ein halbes Jahr später, wenn es erschienen ist, wenn ich es über Corona schreibe. Also, dacht ich, ich muss das Fass so aufmachen, dass ich Muster in den Pandemien zeige, dass ich Pandemien erkläre, dass ich die Methode hinter den Pandemien erkläre und gleichzeitig ein Wissenschaftsbuch mache. Auf der einen Seite und auf der anderen. Auf der anderen Seite wollt ich, dass es immer unterhaltend wirkt. Ich bin ja kein Wissenschaftler, ich bin kein Biologe, und kein Epidemiologe, was ich kann, glaube ich Geschichten erzählen. Und ich kann es auch immer unterhaltsam machen. Also die Zielgruppe war selber. Und ich gucke halt immer im Zweifel lieber Fußball oder einen Marvel-Film, als dass ich eine Dokumentation auf ARTE über irgendwelchen Wissenschaftsphänomene mir angucke. Und ich dachte, das muss, wenn, dann muss es ein Buch sein, dass auf die 12 geht und nach vorne geht und Tempo macht, schnelle Schnitte hat. Ich wollte einen Film machen als Buchform. Aber wissenschaftlich korrekt, also am besten so wie Roland Emmerich. Schnell und Quas ins Gesicht. Möglichst 200 Millionen Tote, aber das möglichst wissenschaftlich fundiert. Also spannend und unterhaltsam, Ja, das ist es … und dann wurde da ein Buch draus.

Holger: Ich habe das Buch natürlich auch selber gelesen und auch weiter verschenkt und es ist wirklich kurzweilig zu lesen, das ist das Schöne. Sie haben natürlich auch Recht, in der aktuellen Pandemie haben wir alle festgestellt, wie Wissenschaft eigentlich funktioniert. Alle haben erwartet, die Wissenschaft sofort eine Antwort hat, aber dass aber mit Rede und Widerrede zu tun hat, das daraus erst Wissenschaft entsteht, das kennt ja keiner, das weiß ja kein Mensch. Und deswegen haben sich meiner Ansicht nach die Menschen ziemlich auf die Wissenschaft geguckt und waren dann enttäuscht, weil nicht sofort eine Antwort da war und die Wissenschaftler mussten die Kommunikation auf erst einmal lernen, dass das jetzt alles öffentlich ist, also live …

Philipp: Genau, letztlich sind wir dabei beim großen Hauptseminar, jetzt, ist ja Live-Hauptseminar. Es ist ja etwas völlig. Im Dezember 2019 hat sich kein Mensch für Virologien interessiert. Und auch natürlich zu Recht hat sich kein Mensch für Virologien interessiert, warum auch? Und ich glaube auch immer noch, dass sich immer noch, sich niemand dafür interessiert, wie ein Spikeprotein zusammengesetzt ist. Das kann man erklären, das ist auch alles ganz interessant, aber es ist interessanter, wenn man eine Geschichte darum herumbaut, und das habe ich eben versucht.

Holger: Damit haben Sie ein 500 Seiten starkes Buch über Pandemien geschrieben. Sie arbeiten unter anderem für das Forschungsnetz zoonotische Infektionskrankheiten. Können Sie unseren Hörer*innen erklären, was es mit Zoonosen auf sich hat und wo sie entstehen?

Philipp: Eine Zoonose ist, wenn ein Virus, ein Erreger von Tieren auf Menschen überspringt, aber auch von Menschen auf Tieren, dann ist das auch eine Zoonose. Also sie können hin und her wechseln. Normalerweise springt ein Virus nicht einfach hinüber. Ist ja kein sabbernder Köter, den man im Park trift, wo das Herrchen sagt, der macht nichts und er hängt dann einem doch am Hosenbein. Das Virus bleibt schon da, wo es ist … eigentlich … es ist aber nicht der Fall, wenn wir dem Virus eine Gelegenheit geben zu wechseln. Evolution ist ja nur ein Ausprobieren von Möglichkeiten. Und wenn wir Regenwald abholzen und dann auf die Fläche Ziegen treiben, dann ist das Virus immer noch da, aber dann ist der Regenwald nicht mehr da, aber das Virus ist noch da. Und in der nahen Umgebung sind die Viren träger auch noch. 9:25:00 aber es bleibt dann nicht bei denen, sondern springt auf die Ziege und weil wir Kontakt mit der Ziege haben, springt es von der Ziege auf uns, möglicherweise. Das passiert zwar auch nicht immer, aber das ist das Klassische, wie es passieren kann. Das muss auch nicht im Regenwald sein, das kann auch im Garten hinter dem Haus passieren. Wenn wir jetzt Kontakt zu Mäusen haben und dann kann das schon sein, dass das Huntervirus auf uns überspringt. Das ist jetzt hier nicht so schlimm, Aber es gibt auch andere Hunterviren in den USA zum Beispiel, da sterben dann ¾ aller Opfer, wenn es schlecht läuft. Massentierhaltung in Niedersachsen, also wenn der Kontakt zwischen Mensch und Tier sehr eng ist, dann gibt es öfter mal Übersprung und das ist eben Zoonose. Also eine klassische Zoonose ist die Influenza. Die Influenza kommt immer aus Vögeln und das ist uns nicht mehr so klar, weil wir sind ja dauern erkältet. Aber eigentlich ist die Influenza ein Vogelgrippevirus. Aber da gibt es alles Mögliche. Zoonosen sind nicht immer schlimm und tödlich, sondern aber man kann auch ein bisschen Durchfall haben, Salmonellen sind auch eine Zoonose. Aber alle Killer aus unseren Alpträumen sind eben Zoonosen. Ebola, HIV, Tollwut, Pest, Lasa, West-Niel-Fieber. Das sind alles Zoonosen. Aber wie gesagt, wenn ein Darmparasit von uns auf den Menschenaffen überspringt, oder Coronavirus von und auf ein Tier, dann sind das auch Zoonosen. Das ist jetzt nicht immer für uns supertödlich.

Holger: Sie nennen ja verschiedene Tiere in Ihrem Buch: Affen, Schweine, Rinder, Nagetiere, Fledermäuse, Flughunde, Vögel, Spinnen, Wespen, Bienen, Ameisen. Wie kommt es dann zu so starken Pandemien, zu so starken Virenbefall?

Philipp: Also erst einmal ist es ja so, dass wir ja nicht außerhalb der Ökosysteme stehen. Wir neigen ja zu sagen, wir und die Natur. Aber das ist natürlich ein großer Selbstbetrug, weil wir sind ja Teil der Natur. Wir sind ja nur ein Rädchen im System. Wir bilden uns ein, wir sind ein ziemlich großes Rad, aber letztlich sind wir auch nur zu Gast hier auf einem Planeten, der uns ja nicht gehört. Wir tun nur so und ein bisschen mehr Demut wäre natürlich ganz schön, aber wir sind Teil des großen Ganzes. Aber das große Ganze wirkt auch immer wieder auf uns zurück. Natürlich trägt jedes Tier sein eigenes Virenökosystem mit sich rum und mit dem hat es sich natürlich eine Koevolution hinter sich gebracht. Das haben wir ja auch so getan mit unseren Viren. Indem wir das Ökosystem überstrapazieren und ausbeuten, dass habe ich ja eben schon gesagt, schaffen wir Gelegenheit zum Übersprung und dass geht meistens schief für das Virus, dann läuft sich das tot, aber manchmal klappt das eben auch und dann springt irgendwas von irgendeinem Tier auf uns über. So wie es im aktuellen Fall so ist. Und das kommt bei allen möglichen Tieren so vor und deswegen kommt auch im Buch so viele Tiere vor.

Holger: Sie beschreiben in Ihrem Buch eine Tiergruppe, die sich wie der Mensch in riesigen Gruppen organisiert und die ebenso mobil, sozial und gesellig ist. Diese Tiergruppe gibt es seit über 50 Millionen Jahren. Wenn ich mir die Zukunft der Menschen, basierend auf ihrem jetzigen Verhalten, ausmale, stelle ich mir auch die Frage: „Welche Gruppe ist intelligenter, welche Gruppe hat die besseren Chancen für die Zukunft?“ Was denken Sie darüber?

Philipp: Na ja, Sie sprechen jetzt Fledermäuse an. Und Fledermäuse werden uns wahrscheinlich überleben, das scheint mir sehr sicher zu sein. Das wir eine erfolgreiche Spezies sind, darauf würde ich jetzt nicht wetten. Aber bei Fledermäusen ist es ja .. die sind so häufig und angepasst, die gibt es in fast allen Ökosystemen. Das gilt für uns natürlich auch, aber im Gegensatz zu Fledermäusen zerstören wir ja alles ums uns herum, das uns langfristig am Leben erhält, das spricht jetzt nicht zwingend für unsere Intelligenz. Und am Ende sind wir eben Primaten, wie die andere Primaten auch, nix weiter. Und für uns Primaten gilt, was auch für alle anderen Primaten auch gilt. Wenn unser Ökosystem überstrapaziert ist und erschöpft ist, dann geht‘s eben ans Sterben und aktuell beschleunigen wir ja das nur. Und eine Fledermaus, die ist eben so zahlreich und so gut angepasst, dass es wahrscheinlich auch nach uns noch Fledermäuse gibt.

Holger: Hoffen wir mal

Philipp: ja ich bin da ganz zuversichtlich

Holger: weil das Thema Artensterben ist da ja auch noch mal wichtig, sind die Zoonosen daran auch mitschuldig, dass so viele Arten aussterben? Jetzt gerade in dieser Zeit, oder sehen Sie das nicht so? Oder sehen Sie da eher den Menschen als schuldigen oder Verursacher?

Philipp: Also wichtig ist ja, Viren bremsen sich gegenseitig ein. Und verschiedene Viren-Ökosysteme bremsen sich gegenseitig ein und wenn die Diversität und die Artenvielfalt besonders hoch ist und weil jedes Tier sein eigenes Viren-Ökosystem mitbringt dann ist es auch ziemlich wahrscheinlich, dass die sich alle gegenseitig einbremsen. Wenn wir dann natürlich sehr viele Tiere ausrotten, gewinnen die Tiere die Oberhand, die am Besten an uns angepasst sind und auch das Viren-Ökosystem von denen. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass es Pandemien gibt, wenn es weniger Arten gibt, weil wir dann mit denen öfter in Kontakt kommen, bzw. weil die dann nicht eingebremst werden, von anderen Viren-Ökosystemen, die in anderen Tieren sind.

Holger: Und was bedeutet der Klimawandel für die Entstehung von Zoonosen? Der Druck auf die Tierwelt ist ja genauso wie für uns.

Philipp: Ich hatte es ja gerade eben schon gesagt, aber ich muss es jetzt kurz nochmals sagen: Viele unterschiedliche Tierarten sind die beste Versicherung gegen einzelne Viren oder Virengruppen. Wenn das Klima sich so schnell verändert, dass Tiere da nicht nachfolgen können bzw. sich nicht schnell genug anpassen können und die auch verschwinden, dann ist es ja letztlich das, was ich gerade schon sagte. Unsere und deren unterschiedliche Ökosysteme bremsen sich untereinander aus, aber wenn eine Spezies dominanter wird, dann werden auch ihre Viren dominanter. Das kann dazu führen, dass wir ihnen schutzlos ausgeliefert sind. Die beste Versicherung gegen Pandemien sind deswegen unberührte Ökosysteme und auch das Bekämpfen des Klimawandels. Meines Erachtens sind das drei Krisen, die aber eigentlich alle zusammen eine sind. Es wird mehr Pandemien geben, wenn es weniger Arten gibt und wenn das Klima sich ungebremst so erwärmt bzw. erhitzt, wie das gerade passiert. Da fällt mir nichts ein, was uns gerade stärker bedroht und das wird uns existentiell bedrohen. Es ist im Detail aber nicht ganz klar, was der Klimawandel tatsächlich bedeutet für einzelne Tierspezies. In jedem Fall verschiebt sich ja das Siedlungsgebiet von Tierarten massiv. Das Krim-Kongo-Fieber, das durch Zecken übertragen wird, tritt ja, wie der Name sagt, auf der Krim und im Kongo auf und das wird voraussichtlich in Deutschland Fuß fassen, wenn es wärmer wird. Das ist im Vergleich zu Ebola eine echt blutige Angelegenheit, denn da blutet man wirklich sehr und es gibt eine relativ hohe individuelle Letalität. Man liest ja, dass es auch die Malaria schafft, hier wieder heimisch zu werden, das ist aber nicht ganz klar. Ja, das kann sein, das war sie auch jahrhundertelang…

Holger: Die gab es ja am Rhein.

Philipp: Genau. Malaria war hier endemisch. Andererseits, durch den Klimawandel werden immer mehr Moore und Sümpfe austrocknen und es wird generell trockner und das betrifft die Brutgebiete für Mücken, die sich mit Malaria erst einmal durchseuchen müssten. Das ist alles relativ schwer abzuschätzen. Es wäre unseriös, wenn ich jetzt sagen würde, dass der Klimawandel ganz sicher zu mehr Zoonosen in Deutschland führt. Dazu gibt es Indizien, aber das kann man jetzt so nicht sagen. Man kann aber schon sagen, wenn Tierarten ihre Habitate verlassen müssen, weil es zu warm wird und sich in andere Lebensräume absetzen müssen, dass sie auch ihre Viren dort mit hinbringen. Es gibt ein Beispiel aus Australien: Dort gibt es das Hendra-Virus, das ist sehr unangenehm. Wenn man das hat, ist die Wahrscheinlichkeit, daran zu sterben, nicht klein. Die Übertragung auf Menschen erfolgt aber nicht so oft. Das Virus kommt aus Flughunden, die auf Pferde übertragen und die es dann manchmal an ihre Halter weitergeben. Hier wird gesagt, dass die Wahrscheinlichkeit für solche Infektionen zunimmt im nächsten Jahrzehnt. Das liegt daran, dass die Flughunde auf Grund der Klimaerwärmung ausweichen müssen in den Süden des Kontinents, einfach, weil es da nicht so riesig heiß ist wie im Landesinneren und es dort noch Grüngebiete gibt, nachdem der Rest-Regenwald, den es dort in Australien mal gab, auch abgeholzt worden ist.

Holger: Die Wissenschaft schaut ja auch in die Zukunft. Gibt es da schon Vermutungen, woher oder aus welcher Ecke neue Viren oder eine neue Pandemie kommen könnte oder wird es so bei dieser Corona-Viren-Gruppe bleiben?

Philipp: Also das kann ich nicht sagen. Auch da wäre es natürlich unseriös, zu sagen: das und das wird als nächstes passieren. Wir kennen sieben Coronaviren. Davon sind vier relativ harmlos (Anmerkung v4f: meist mit eher milden, gelegentlich auch schweren Erkältungssymptomen assoziiert) und drei eben nicht so harmlos. Wobei zu sagen ist, das eine, SARS-CoV-1 gibt es nicht mehr und das Andere, SARS-CoV-2, entwickelt sich auch gerade wahrscheinlich ins Harmlose. (Anmerkung v4f: Das dritte erwähnte Coronavirus ist das 2012 entdeckte MERS-CoV. Die Krankheit kann nahezu unbemerkt verlaufen oder einen sehr schweren Verlauf nehmen mit einer hohen Sterblichkeit.) Es gibt aber mehrere hundert Coronaviren in Fledermäusen. Also insofern ist es ziemlich wahrscheinlich, dass da noch was kommt. Andererseits, wir wissen ja teilweise nicht mal, was wir nicht wissen. Die Natur ist ein großes Überraschungspaket, es kann natürlich sein, dass da morgen etwas anderes aus dem Busch ploppt. Es kann auch sein, dass Influenzaviren sich so verändern, wie es schon mal war, nämlich vor hundert Jahren. Das kann alles sein, es wäre jetzt unseriös zu sagen: das und das passiert als Nächstes. Es gibt allerdings schon Viren, die von der WHO, der CDC und dem RKI beobachtet werden. Es gibt da eine TOP-Ten, da ist aber auch immer ein Virus dabei dem man sagt: Das weiß keiner, was das wird. Irgendwas kann das sein, von dem wir dann alle überrascht sind.

Ich muss noch was zur Ehrenrettung von Fledermäusen sagen. Jetzt habe ich zweimal über Fledermäuse geredet, muss jetzt aber mal zu deren Ehrenrettung sagen, dass das keine gefährlichen Tiere sind. Man liest es ja in letzter Zeit, dass alle gefährlichen Krankheiten aus Fledermäusen kommen, und das ist natürlich Quatsch. Wenn man das die ganze Zeit behauptet, das ist so, wie wenn man behauptet, dass alle Haie Menschenfresser sind. Da haben wir auch vor Jahrzehnten das Narrativ gesetzt, dass das so ist und das bekam den Haien nicht so gut. Es ist natürlich ganz falsch, wenn man sagt, Fledermäuse sind per se böse Tiere. Das ist einfach nicht richtig. Ja, Fledermäuse haben ein paar Viren, die nicht so angenehm sind, aber andere haben das auch. Dass das jetzt in Fledermäusen auftaucht, liegt möglicherweise nur daran, dass in Fledermäusen sehr viel gesucht wird. Das ist nämlich in der Virologie gerade sehr modern. Bei der Virologie ist so ein bisschen wie mit der Mode, irgendwann haben alle enge Hosen an in der Mode, und jetzt wird eben in der Virologie in Fledermäusen gesucht. Was auch Sinn macht, weil die sehr zahlreich sind und es auch Säugetiere sind. Deshalb und auch weil sie viel Kontakt mit Menschen haben, ist es wahrscheinlicher, dass von ihnen was überspringt als von einem Fisch …aber natürlich gibt es auch da Viren. Also eine Fledermaus ist erst mal kein böses Tier, das muss man einfach mal erwähnt haben.

Holger: Also wir müssen sie nicht ausrotten. Denn ich habe auch in Ihrem Buch gelesen, ich weiß nicht, in Ihrem Buch oder woanders, dass es in südlichen Ländern die Versuche gibt, Fledermäuse auszurotten, zu töten oder aus dörflichen Gemeinschaften zu vertreiben. Das ist natürlich auch dramatisch, sowas, wenn ganze Fledermausfamilien ausgelöscht würden.

Philipp: Also das ist natürlich auf ganz vielen Ebenen falsch. Erst mal ist es natürlich moralisch ganz widerlich, es ist aber auch ökonomisch blödsinnig. Fledermäuse befruchten mehr Blüten als Vögel und sind auch Schädlings- und Insektenfresser. Also, wenn man Fledermäuse ausrotten wollen würde, schießt man sich auch schon selber ins Knie, weil sie für das Ökosystem viel mehr bringen, als dass sie schaden. Wenn man das überhaupt sagen kann, es fällt mir schwer tendenziell immer schwer, bei einem Tier zu sagen: „es schadet“. Aber auch da gibt es Studien, allerdings weiß ich da jetzt nicht mehr die Zahlen aus dem Kopf, da müsste ich noch mal nachgucken. Es gibt amerikanische Studien, die gesagt haben: „Was bringt es eigentlich ökonomisch, wenn man Fledermäuse in der Nachbarschaft hat?“, so als Landwirt, als Farmer. Es waren astronomisch hohe Summen, also da profitieren alle davon, von Fledermäusen.

Holger: Tolle Ehrenrettung, das war jetzt gut.
Ich wollte jetzt mal ganz kurz zu den „Spaziergängern“ kommen. Es gibt ja Corona-Leugner:innen, Demonstrationen gegen die Schutzmaßnahmen, Morddrohungen gegen Politiker:innen und Wissenschaftler:innen, das haben Sie ja selber anschaulich geschrieben über Herrn Drosten, was er da alles in seinem E-Mail-Fach alles bekommt. Es gibt aggressive Verschwörungsgläubige, die Seite an Seite mit Nazis marschieren, ist das jetzt ein Phänomen unserer Zeit, gerade in unserer Zeit, oder gab es vergleichbare Zustände bereits bei früheren Pandemien?

Philipp: Das ist leider überhaupt nichts Neues, oder was heißt leider, das ist einfach nichts Neues. Dem Staat Böses zu unterstellen oder eine kleine Gruppe von Menschen verantwortlich zu machen, das ist keine besonders innovative Idee, das gab es immer schon. und ich vermute, das wird auch immer so sein, weil manche Leute das brauchen, um selber Halt zu finden. Ich erkläre das in dem Buch auch soziologisch, ich habe einen Soziologen getroffen und da reden wir dann auch darüber: „Warum passiert das eigentlich, was könnte denn der Grund sein?“. Gut, Soziologie, da kann man sich darüber streiten, aber es ist relativ deutlich, dass es natürlich eine Strategie ist, um mit einer Krise umzugehen, die man ja nicht beeinflussen kann, letztlich. Da kann halt keiner was dafür und ist es zunächst mal schwierig, sowas zu akzeptieren. Aber das ist nicht erst jetzt schwierig, zu akzeptieren, das gab es schon immer. Also bei Pockenimpfungen, wir reden von Pocken, durchschnittliche Letalität 40-50%, bei manchen Ausbrüchen 90%. Auch bei Pockenimpfungen, da gab es Leute, die waren dagegen, die haben gesagt: „Pocken, die sind nicht so schlimm, die Seuche ist viel harmloser als die Impfung“. Wie gesagt, die Pocken. Da haben Leute gedacht, „wenn man sich gegen die Pocken impfen lässt, verwandelt man sich in eine Kuh“. Weil die Impfung eben mit einem Kuhpockenvirus stattfand. Die sagten, dann sei das Blut verjaucht und das ist unnatürlich. Die Argumente waren dieselben. Da gesagt: „Mit der Krankheit, kommt das Immunsystem schon klar, man muss nur immer an die frische Luft gehen und sich gesund ernähren.“ Ich kann es nicht oft genug sagen, wir reden von den Pocken! Superansteckend, supertödlich, selbst wenn man es überlebt, wenn man Pech hat, sieht man sehr entstellt aus. Und trotzdem waren manche Leute der Ansicht, dass man die Pocken einfach mal durchleben muss.
Als die Cholera in Hamburg ausgebrochen ist, waren die Armen davon überzeugt, dass es eine Biowaffe der Reichen ist, um die Klasse der Armen zu dezimieren. Die Reichen waren davon überzeugt, dass die Armen sich die Biowaffe ausgedacht haben, um die Reichen loszuwerden. Also da waren auch alle völlig hysterisch. Man muss auch gar nicht Jahrhunderte zurückgehen. In den 90er Jahren im Kongo, da war ein Ebola Ausbruch, das kommt da öfter mal vor, da gab es eine Legende, die besagte: „Schuld an dem Ebola Ausbruch sind die Ärzte und das liegt daran, dass alle Patienten im Krankenhaus sterben“, also müssen es die Ärzte sein.

Holger: Es kommt einem so bekannt vor, wahrscheinlich aus aktuellen Telegramm-Kanälen, da wird genau das Gleiche behauptet. Ich habe ein Datum überlesen, gerade in diesem Thema. Ich las da, also für mich: „2019“, bei der Anti-Masken-Liga, den sogenannten Hygiene-Spartanern, wurde geäußert, dass es ungesund sei, Masken zu tragen und Redner erklärten, warum es sinnlos sei, beim Masken tragen mitzumachen, und als Verletzung der persönlichen Freiheit bezeichnet wurde. Mir kam das ganz komisch vor, dann ging ich ein paar Sätze vor und da ging es tatsächlich um „1919“. Gefühlsmäßig wird da genauso argumentiert heute wie damals.

Philipp: Genau. Was man aus der Vergangenheit natürlich lernen kann, ist, dass Leute offensichtlich wenig lernen. Bei mir ist da je nach Tagesform, manchmal deprimiert mich das total und denke: „Oh Gott, es gibt gar keinen Entwicklungsprozess“, andererseits finde ich es manchmal auch ganz gut, weil ich denke, das haben andere Gesellschaften auch schon überstanden und wir werden es auch überstehen. Es ist aber schon so, dass, wenn man sich da mal einliest und damit beschäftigt, dass man merkt, auch in der Vergangenheit war Rechthaberei nicht mit Fakten auflösbar. Das ist eine ganz emotionale Sache, das kann man tausendmal erklären und das muss man auch tausendmal erklären. Es sind ja nicht alle rechtsradikal. Ja, das Bild entsteht schon, aber ich weigere mich, zu glauben, dass es so viele Rechtsradikale gibt, die gegen Impfung und Masken sind. Ich möchte das nicht glauben, und dann erklärt man es halt nochmal. Bei der radikalen Minderheit ist das eine Sache für die Justiz, da ist die zuständig, aber bei allen anderen, man erklärt´s und erklärt´s und erklärt´s. Ich finde, das ist dann auch nicht so schlimm, das muss man als Gesellschaft, als freie Gesellschaft auch aushalten. Man kann ja auch der Meinung sein, dass das alles nur eine Meinung ist, die Wissenschaft, obwohl es evidenzbasiert ist. Wenn man es nicht glaubt, dann ist es halt so. Ich war mal vor drei Jahren auf einem Kongress der „Flacherde-Anhänger“ in Colorado/USA. Da haben sich 400-500 Leute getroffen in einer Halle und haben behauptet: „Die Erde ist flach“. Ich habe dann so getan, als wäre ich auch einer, der davon überzeugt ist, das war einfach irre unterhaltsam. Das hat schon Tendenzen, um staatsgefährdend und demokratiezersetzend zu sein, aber ich finde trotzdem, dass man…Herrgott, wenn Leute das denken wollen, dann sollen sie es denken. Es ist, wie gesagt, nichts Neues. Man erklärt eben tausendmal. Man muss immer daran denken, jeden Tag lassen sich mehr Leute impfen, als im Monat auf deutschen Straßen gegen Impfung demonstrieren, das ist ja so. Ich wohne in Hamburg, wenn hier der HSV spielt oder St. Pauli, dann sind bei jedem Spiel mehr Leute im Stadion als auf deutschen Straßen gegen Impfung und Corona-Politik demonstrieren. Man muss auch einfach mal die Verhältnisse klarziehen. Wenn man Minderheiten so ins Rampenlicht stellt wie wir das gerade tun, dann fühlen die sich halt wichtiger. Das ist ja auch in Ordnung, es ist ihr gutes Recht, das sie demonstrieren. Ja Gott, locker bleiben und einfach nochmal erklären. Ich bin allerdings kein Experte für Aussteigerprogramme aus Verschwörungsideen. Da muss man glaube ich, andere fragen, weil das ja teilweise sektenähnliche Züge hat. Aber generell, wie gesagt, würde ich jetzt sagen: „Ich weigere mich, daran zu glauben, dass das alles böse Leute sind, das glaube ich einfach nicht“.

Holger: Also es sind ganz hundertprozentig nicht alles böse Leute. Ich weiß jetzt nicht genau, ca. 16 Millionen fehlen noch in der Impfstatistik, das sind ja nicht 16 Millionen Rechtsradikale oder QAnon-Gläubige oder Flacherdler. Aber es sind halt Sorgen, die da geäußert werden. Wie kriegen wir diese Leute überzeugt, haben Sie da vielleicht einen Vorschlag dazu, wie man die Überzeugungsarbeit, die Kommunikation verbessern kann?

Philipp: Also generell glaube ich, dass eine sehr klare Kommunikation mit Ansagen schon wichtig ist, aber das haben wir schon vor längerer Zeit verpasst und dann muss man sagen, Gott, also wenn sie sich nicht impfen lassen wollen, dann sollen sie sich halt nicht impfen lassen. Ich weiß, das klingt jetzt so ein bisschen, jetzt kann man ja sagen, das Gesundheitssystem wird, überlaste, aber ehrlicherweise finde ich ja, ich habe Empathie für meine Nachbarn, Empathie für andere Leute, ich habe Empathie für alle Menschen, aber für das Gesundheitssystem kann ich ja keine Empathie haben, das ist halt ein System. Es ist ein schwieriges Argument, zu sagen, lasst euch mal impfen für das Gesundheitssystem. Man müsste schon mal klar kommunizieren, man lässt sich nicht für ein System impfen. Ich lasse mich auch nicht für jemanden in Ulm impfen, obwohl ich nichts gegen Leute aus Ulm habe. Ich lasse mich impfen, weil mir das selber hilft. So ehrlich muss man mal sein, dass man das auch sagt. Wenn Leute sich nicht impfen lassen wollen, ja Gott, dann sollen sie es eben lassen. Am Anfang war ich gegen die Impfpflicht, tatsächlich weil ich wirklich gedacht habe, mit einer vernünftigen Argumentation kriegt man Leute überzeugt. Dann ging mir das wirklich bisschen auf die Nerven, wo ich dachte, jetzt bin ich auch dafür, gerade bei Delta, aber mittlerweile bin ich auch wieder dagegen. Ich denke dann, echt, komm… lass sie. Also wenn niemand will, dann sollen sie es hat lassen. Ich finde einfach, das muss man als freie Gesellschaft, als freiheitliche Gesellschaft muss man damit klarkommen.

Holger: Mir ging es genauso, ich war vor einigen Monaten auch eigentlich für die Impfpflicht, weil mir das auch völlig auf die Nerven gegangen ist. Jetzt bin ich wieder am überlegen, es muss natürlich, bevor wir eine Impfpflicht haben, sollten alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft worden sein. Das heißt Aufklärung, persönliche Aufklärung, Aufklärungsteams, Aufklärung in verschiedenen Sprachen, auch in Russisch, Arabisch und sonstigen Sprachen. Oder vielleicht sogar jeden persönlich mal anschreiben und sagen, hier, wenn Du nicht geimpft bist, denk dran. Diese Lösungen sind ja noch gar nicht gemacht worden.

Philipp: Genau, ja, das stimmt. In Bremen hat es ja wunderbar funktioniert ohne Impfpflicht.

Holger: Ja, natürlich. Aber die sind in die Quartiere gegangen und haben persönlich angesprochen.

Philipp: Genau!

Holger: Das war das Erfolgsgeheimnis von Bremen. Die sind reingegangen und haben gesagt, so, da ist der Dolmetscher und gibt es Fragen?

Philipp: Aber wie gesagt, am Ende muss man sagen, aus einer Reihe von Gründen ist SARS-CoV-2 ein sehr, sehr unangenehmes Virus und da geht es auch nicht um die persönliche Letalität, sondern um die Infektiosität, denn wenn sich alle infizieren, dann sterben auch viele bei geringer Letalität. Das hätte man besser kommunizieren müssen, weil es natürlich trotzdem so ist, dass die individuelle Letalität nicht besonders hoch ist. Das muss man auch ganz klar mal sagen, wir reden nicht von den Pocken, wir reden nicht von Ebola. Trotzdem ist die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren und dann einen schweren Schaden zu erleiden, viel, viel höher als bei der Impfung. Auch das steht ja in keinem Verhältnis. Es gibt überhaupt gar nichts, was gegen Impfung spricht. Generell gibt es nichts, was gegen die Impfung spricht, es ist die beste Erfindung der Medizin seit Erfindung der Kanalisation. Also eine bessere Idee für gibt es nicht. Also die Herzmuskelentzündungen muss man jetzt nicht schönreden, aber das ist natürlich im Vergleich zu dem, was passieren kann, wenn man sich infiziert, überschaubar wenig. Auch die MRNA-Technik ist hervorragend und super. Alles, was es da an Gerüchten gibt, ist einfach falsch. Meiner Erfahrung nach nützt es aber nichts, wenn man… Das muss man halt erklären und erklären, das nützt oft nichts und wenn die Leute dann nicht wollen, dann, Gott, wie gesagt, dann wollen sie nicht, ich wiederhole mich. Ich finde das in letzter Konsequenz dann nicht so schlimm.

Holger: Es sind halt die Einschränkungen, mit denen wir jetzt noch leben. Wir können im Herbst diesen Jahres nicht wieder von vorne anfangen, das ist ja die Sorge, die wir haben.

Philipp: Genau. Nein, das möchte ich auch nicht. Irgendwann muss es ja mal endemisch werden und wenn wir jetzt davon ausgehen, dass sich mit Omikron wirklich jeder ansteckt… ich glaube, in Hamburg ist gerade eine Inzidenz von 2.500, also es wird einfach jeder bekommen. In meinem Bekanntenkreis ist es auch, alle haben es. Ich bin auch nicht sicher, ob ich es auch schon hatte, ehrlich gesagt. Und es ist ja auch nicht schlimm, wenn man sich auf eine Impfung drauf sich infiziert, dann ist es ja auch gut. Also ich würde mich jetzt nicht freiwillig melden, ohne Impfung würde ich das jetzt nicht machen wollen, aber andererseits: Wenn man eine Maske aufhat, wenig Virus abbekommt, schon geimpft ist und sich dann infiziert… was soll´s, dann.

Holger: …ist es nicht so schlimm.

Philipp: Ich habe gerade eine Studie gelesen aus England, dass das meiste Symptom bei Omikron jetzt eine laufende Nase ist, vor Halsschmerzen und Kopfschmerzen. Wenn es wirklich in so eine Richtung geht, das ist offensichtlich ja so, dass die Krankenhauseinweisung zwei bis dreimal geringer ist als bei Delta und bei dem Urtyp. Ja, dann muss man möglicherweise jetzt mal sagen, dann ist es jetzt auch mal Zeit, in die endemische Phase überzugehen. Und alle, die sich nicht impfen lassen, werden sich infizieren. Das ist dann halt so. Aber wenn sich jemand so entscheidet, ist es auch in Ordnung.

Holger: Aber wie sind die Studien z.B. zu Long Covid? Ich kann ja bei Covid-19 nur eine laufende Nase haben, aber im späteren Verlauf schwer erkranken.

Philipp: Das weiß ich nicht, ehrlich gesagt. Da ist die Studienlage relativ dünn. Aber ich hatte ja vorhin gesagt, jetzt reden wir sehr viel über Covid und es ist ja kein Corona-Buch. Das hatte ich ja vorhin gesagt, ich bin ja kein Virologe und kein Epidemiologe. Also ich bin jetzt, glaube ich, schon ok informiert und besser als der Durchschnitt, weil ich ja die letzten zwei Jahre nichts anderes gemacht habe, und zwar wirklich jeden Tag, sieben Tage in der Woche 10 Stunden am Tag. Insofern ist es ok, ein Überblick, aber in letzter Instanz habe ich natürlich auch nicht alles gelesen, was an Studien da erscheint.

Holger: Ja, klar. Das verstehe ich auch.

Philipp: Ich bin auch ganz froh, dass das Buch jetzt geschrieben ist, denn ich habe auch nicht mehr so richtig Lust.

Holger: Ja. Aber es ist ein spannendes Buch, es ist kurzweilig, tatsächlich wie ein Thriller geschrieben mit kurzen Plots und sehr informativ. Selbst schwierige, fachliche Dinge haben Sie so gut rübergebracht, dass sogar ich das verstanden habe und das heißt schon einiges.

Philipp: Ach, ich glaube nicht. Aber das freut mich. Danke schön!

Holger: Haben Sie denn ein neues Thema, ein neues Projekt im Auge?

Philipp: Ja, ich habe zwei, drei Ideen, aber da ist noch nichts spruchreif. Ich werde auf jeden Fall mich nicht nochmal mit Viren beschäftigen.

Holger: Ja. Aber weiter Schreiben?

Philipp: Ja, Ja, auf jeden Fall. Das ist Ausschlussprinzip, ich kann sonst nichts.

Holger: Das glaube ich jetzt wieder nicht.

Holger: Ok. Herr Kohlhöfer, vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Sie uns geopfert haben. Ich hoffe, es hat Sie auch etwas gefreut.

Philipp: Es hat mir sehr viel Spaß gemacht. Danke schön!

Holger: Wunderbar. Danke schön.


Das war das Interview mit Philipp Kohlhöfer. Sein Buch „Pandemien“ ist erschienen im Verlag S.Fischer und kostet 25 Euro. Wer also einen kurzweiligen, mit vielen Fakten versehenen Wissenschaftsroman lesen möchte und … Psst … dabei auch noch mit viel Spaß etwas neues lernen möchte, dem ist dieses Buch sehr zu empfehlen – natürlich allen anderen auch: https://www.genialokal.de/Produkt/Philipp-Kohlhoefer/Pandemien_lid_43442896.html

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Die Eingangsmusik – die Musik für unseren Podcast „Pflanzenglück“ wurde für uns von Uwe Schulze aus Buchholz komponiert und arrangiert. Gleich hörst Du noch mal das komplette Stück.

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Ich freue mich, wenn Du uns treu bleibst und auch die nächsten Folgen von unserem Podcast „Pflanzenglück“ anhören wirst. Dann werden wir uns mit dem Welttag für das Ende der Fischerei beschäftigen. Mein Name ist Holger und ich habe für vegan4future e.V. gesprochen.

Bis zum nächsten Mal!


Info für Sehgeschädigte. Unter dem Text befinden sich 2 Bilder. Auf dem 1. Bild ist Philipp Kohlhöfer zu sehen. Das Foto wurde von Achim Multhaupt gemacht. Auf dem 2. Bild sieht man den Umschlag des Buches von Philipp Kohlhöfer: Pandemien

Buch
Das Buch „Pandemien“ von Philipp Kohlhöfer ist im S.Fischer-Verlag erschienen: https://www.genialokal.de/Produkt/Philipp-Kohlhoefer/Pandemien_lid_43442896.html

Musik:

Titelmelodie „Pflanzenglück“ komponiert und arrangiert von Uwe Schulze: https://soundcloud.com/u-schulze

Hintergrundmusik von https://audionautix.com/
RunningWaters & Minor with Cricket